Der wahre Kir Royal
Autoren: Christian Bauer. Doku-Soap - ARD / Arte - 1999 - 6 x 30 min
Zwischen Olympiaturm und Hofbräuhaus gibt es in München kein Ereignis, das nicht zum “Event” erhoben wird: Amusement ist angesagt. In der Weltstadt mit Herz lassen die Schönen und die Reichen, die Macher und die Adabeis keine Gelegenheit aus, die Korken krachen zu lassen. Den Hummer gibt es kiloweise, der Champagner fließt in Strömen.
Aber hinter der Glitzerfassade schuftet ein eingespieltes Team aus Köchen, Kellnern und Tellerwäschern. Das Leben und Treiben hinter den Partykulissen ist fünf/sechs Folgen lang der Schauplatz von Der wahre Kir Royal.
Die Kamera ist dabei, wenn der Oberkellner Kai Peters, den es von der Nordseeinsel Amrum nach München verschlagen hat, um Mitternacht dem Bundespräsidenten Weißwürste serviert oder wenn Tanja Stadler, die die Hochzeit von Michael Käfer organisiert, beim Hochzeitsdinner das sündteure Gästebuch verschlampt.
Das Team vom Partyservice des Feinkost Käfer ist wöchentlich auf bis zu achtzig Festen unterwegs. Die fesche Birgit Heupel ist Oberkellnerin im Prinzregententheater, wenn auf der Bühne statt Ballett die neue S-Klasse präsentiert wird. Steht ein Großereignis wie die Eröffnung der Neuen Messe München ins Haus, rückt der charmante Venezianer Toni Furlan aus Düsseldorf an, im Schlepptau eine Schar von Spitzenkellnern.
Wenn täglich ungezählte Handgriffe Tonnen von Stühlen, Tischen, Tellern und Besteck bewegen müssen, bleibt der Streit nicht aus.
Da gibt es Streß, aber auch Liebe. Sie sind von Luxus und Stars umgeben, doch zuhause gibt es bloß Spaghetti.
Kai, Tanja, Birgit, Toni, sowie der Holländer Rob, der Schlawiner Michi Schwaiger und Sabine Huth, Kais Freundin, fühlen sich als große Familie. Deswegen gehen sie einmal im Jahr zusammen aus: auf die Wies’n.
Nehmen Sie Platz und genießen Sie die amüsanten Geschichten rund um die üppigen Festlichkeiten von Der Wahre Kir Royal. Eine Seifenoper aus dem wirklichen Leben. Alles ist echt.
Helge Hopp
Berliner Zeitunng, 28.12.1998
Der Charme des wirklichen Lebens
Der wahre Kir Royal
Am Beginn eines langen Abends, wenn er noch nicht weiß ob alles klappen wird, entfährt Kai beim Anblick von Champagnergläsern schon mal der Satz: “ Ich würd´mir jetzt am liebsten ´ne Flasche intravenös geben.ł Kais Erzfeinde sind schlendernde Kellner, die Zeit finden, im Takt des Orchesters mitzuwippen oder bei der Dinner Show mit den Damen des Pariser Lido einen Blick auf die Bühne zu werfen. Kai ist Oberkellner beim Partyservice von Michael Käfer, dem Münchner Society Darling und Prominenten-Wirt, ohne den kein Ball, keine Premieren- und Hochzeitsfeier und keine Präsentation eines neuen Mercedes-Modells zu organisieren ist.
Kai und seine Kollegen sind die Helden des ungewöhnlichen Filmprojekts “Der wahre Kir Royalł, das eine Reihe mit sogenannten “Docu-Soapsł auf Arte eröffnete. Berufliche Krisen, Anspannung und Ausgelassenheit sind da vor dem Hintergrund mehr oder weniger dekadenter Festlichkeiten zu erleben. Ganz en passant bieten die fünf Folgen über Käfer hochinteressante Blicke hinter die Kulissen der luxuriösen Völlerei. Duch harte Schnitte werden der schöne Schein der Geladenen und die Schufterei der Gehaltsempfänger treffend kontrastiert. Und wer wollte schließlich nicht schon immer mal wissen, nach wie vielen Stunden sich die Schweißflecken durch T-Shirt, Hemd oder Weste bis zum Smokingjackett gearbeitet haben oder welche Schätze der Notfallkoffer eines Oberkellners enthält?
Bis zu vier Kameras setzte Autor und Regisseur Christian Bauer parallel ein, um den Alltag der Kellner so komplett wie möglich zu verfolgen. Spätestens am Schneidetisch sollte sich der Aufwand auszahlen. Denn obwohl keine Szene gestellt ist, die Kamera die exzellent ausgewählten Personen im streng dokumentarischen Sinne lediglich begleitet, läßt sich aus dem Material doch eine verplüffende Zahl spannender kleiner Geschichten erzählen.
Wenn dem mit äußerst widerspenstigen Funkgeräten ausgestattetem Käfer-Team - unterhaltsame Charaktere allesamt - beim Münchner Messeball nicht mehr als 20 Minuten bleiben, um 3500 Hauptgerichte zu servieren, erleben wir eine Lektion in Sachen Logistik. So auch bei dem eindruckvollen Portrait von Tanja, einer Frau am wichtigsten Tag ihrer Karriere. Sie organisiert die auf drei Schauplätze verteilte Hochzeit von Michael Käfer. Dank geballter Energie in Wort und Tat ersetzt Tanja eine komplete Eingreiftruppe. Zwischen großem Lob und grandiosem Scheitern ist an diesem Tag alles drin. Wenn Tanja am Ende der Party mühsam und in Turnschuhen davonhumpelt, weil sie unbedingt einen kurzzeitigen Stromausfall beheben wollte, in der Dunkelheit stürzte und sich den Knöchel verstauchte, ist das eine Szene von eigenwilliger Tragik.
Der unwiderstehliche Charme des wirklichen Lebens wird hier aus der Fülle des Materials destiliert, die dramaturgischen Grundbögen (Enttäuschung, Glück, Streß und Happy-End) liefert das Leben gleich mit. “Die endlosen Stunden, die gesichtet werden müssen, sind wie ein großer Monolith, aus dem der Filmemacher seine Geschichten herausmeißeltł, beschreibt Christian Bauer seine Arbeitsweise. Daher wird der Schnitt beim vielversprechenden Genremischling Docu-Soap zum entscheidenden Moment: ł Wie ein Bildhauer der Struktur des Steins folgt, den Adern und Einschlüssen, so verfolgen wir beim Schnitt die zunächst kaum sichtbaren Handlungsstränge, präparieren sie heraus und machen sie deutlicher, sichtbarer, spannender als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. ł Bei der Arbeit an “Der wahre Kir Royalł hatte Bauer, der Docu-Soaps für “ein genuines Genre des Avid-Zeitaltersł - also der digitalen Schnitttechnik - hält, über 60 Stunden Material zur Verfügung.
Um den Soap-Charakter mitsamt seinem vertrauten Personal zu unterstreichen, will Arte auch die weiteren Mehrteiler an aufeinanderfolgenden Tagen senden. Als zweite Miniserie ist “Mit Rucksack und Kamelł (18.-21. Januar) des französischen Regisseurs Arnaud Le Goff vorgesehen, der eine Gruppe europäischer Wander-Touristen durch das marokkanische Atlas-Gebirge begleitete.
Es folgen Docu-Soaps über die Hebammen und Ärtzte des Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhauses (“Geburtsstationł von Thomas Kufus im März), Arbeitslose als Firmengründer (“Ich schaff´s allein!ł von Didier Launoy im April), die Hochzeitsvorbereitungen eines Paares, bei dem die Eltern des Kommando übernehmen (“Hochzeitł von Vassili Silovic, im Mai) und über eine Gruppe von Nachwuchs-Stierkämpfern (“Die Schule der jungen Matadoreł von Bernard George im Juni).